Mit der Makroregion EUSALP weitet der Alpenraum seine Regionalentwicklung auch auf die angrenzenden peripheren Metropolenregionen aus. Tobias Chilla, Professor für Geografie,
spricht über die Stärken und Schwächen von Makroregionen, die Rolle der Alpenkonvention
und das Prinzip der flexiblen Geografie.

Vorab gleich ein Geständnis: Ich wusste nicht, was die Makroregion EUSALP ist, bevor ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe. Und auch im Netz findet sich reichlich wenig zum Thema, bis auf die üblichen institutionellen Seiten. Wie das?

Tobias Chilla: Zum einen gibt es die EUSALP offiziell erst seit Anfang 2016, und noch sind nicht alle Details geklärt. Zum anderen richtet sie sich – im Unterschied etwa zu der hiesigen Europaregion – nicht direkt an die Öffentlichkeit. Sie ist vor allem eine Plattform für politische, verwaltungstechnische Kooperation und bindet auch die fachliche Community mit ein. Aber für die breite Öffentlichkeit ist das erst einmal nicht sehr spannend.

Warum braucht es Makroregionen? Reichen die Europaregionen nicht aus?

Chilla: Die Frage im europäischen Integrationsprozess ist immer: Mit welchem räumlichen Fokus kann ich auf welchen institutionellen Ebenen am besten arbeiten? Da geht es ständig darum, die richtigen Kooperationsformen zu finden. Die Makroregionen stellen dabei eine mittlere Ebene zwischen EU und Europaregionen dar. Denn der politische Raum der EU – 28 Staaten plus X, wenn wir etwa auch die Schweiz dazuzählen – ist viel zu groß, um sämtliche Themen auf dieser Ebene zu behandeln. Auf der anderen Seite sind die Europaregionen zu kleinstrukturiert, um alle Themen der internationalen Regionalentwicklung zu betreiben. Denken Sie nur an die Euregio Tirol, die zwar gut funktioniert, aber eine reine bilaterale Angelegenheit ist. Die Grundidee der Makroregionen wird seit über 50 Jahren diskutiert. Ich finde es sehr plausibel, dass man sich nun europaweit auch auf dieser mittleren Ebene zusammentut.

EUSALP, das sind die Alpen plus X. Das X steht für die angrenzenden Ballungszentren und dazwischenliegende Ebene. Was haben Metropolen wie Mailand und München mit den Alpen zu tun?

Chilla: Wenn wir die Alpen verstehen wollen, dann müssen wir die funktionalen Verflechtungen mit den angrenzenden Metropolen im Blick haben. Egal ob wir über Verkehr, Tourismus, Wasserversorgung oder erneuerbare Energien sprechen. Ein weiterer Grund, weshalb die Makroregion Alpen so groß gefasst ist, liegt im politischen Gewicht: Es macht einen Unterschied, ob ich für die 80 Millionen Einwohner spreche, die die EUSALP umfasst, oder für die 14 Millionen, die im derzeitigen Alpenkonventionsgebiet leben.

Stichwort Alpenkonvention: Die EUSALP beinhaltet den gesamten Raum der Alpenkonvention – kommt man sich da nicht in die Quere?

Chilla: Nein. Bei der Alpenkonvention geht es primär um den Schutz einer Bergregion. Die Konvention ist als völkerrechtliches Instrument ein sehr starkes Instrument. Das soll auch so bleiben. Die Makroregionen verfügen weder über eigene finanzielle noch über rechtliche Mittel. So gesehen sind sie ein weicher Raum, ein Soft Space. Alpenkonvention und EUSALP sind zwei vollkommen unterschiedliche Instrumente der europäischen Regionalentwicklung, die einander ergänzen. Und nicht zuletzt: Die Makroregionen als EU-Instrument bieten auch eine Möglichkeit, auf die Ausrichtung von europäischen Geldern, insbesondere bei INTERREG B, Einfluss zu nehmen. Hier hat die Alpenkonvention als völkerrechtliches Instrument kaum einen Ansatzpunkt.

„Wenn wir die Alpen verstehen wollen, dann müssen wir die funktionalen Verflechtungen mit den angrenzenden Metropolen im Blick haben.“

Sie sagen, Makroregionen haben keine eigene politische Kompetenz, kein eigenes Geld und keine rechtlichen Instrumente. Welches Gewicht haben sie dann?

Chilla: Das klingt zunächst einmal recht schwach, da muss ich Ihnen schon Recht geben. Dennoch können Makroregionen über gute Projekte und über hochrangige politische Zusammenarbeit eine gewisse Stärke entwickeln. Ein schönes Beispiel ist die Makroregion Donau. Wenn es um die reibungslose Schiffbarkeit auf der Donau geht, zieht die gesamte Makroregion an einem Strang. Damit die weichen Makroregionen funktionieren, müssen sie sich im Schatten von harten Instrumenten bewegen. Voraussetzung sind also starke Nationalstaaten und Regionen sowie eine funktionierende EU. Denn irgendwo müssen die Gelder ja herkommen und irgendwer muss auch politisch bindende Beschlüsse treffen können.

Das große gemeinsame Ziel ist also wichtig. Wie könnte dieses für die EUSALP aussehen?

Chilla: Es gibt noch nicht das eine große Thema wie bei der bereits erwähnten Makroregion Donau oder aber der Makroregion Ostsee, wo vor allem am Anfang die Gewässer- Eutrophierung der große gemeinsame Nenner war. Dennoch kristallisieren sich einige Themen heraus, bei denen es um die Wechselwirkung zwischen inneralpinen und außeralpinen Bereich geht. Ein solches Thema ist der Transport. Nehmen wir nur den Brenner: Hier sind derzeit schon die bilateralen Beziehungen zwischen Italien und Österreich kompliziert, und mit den Zufahrtsstrecken spielt dann auch noch Bayern herein. Eine wichtige Frage der EUSALP könnte also lauten: Wie gehen wir mit Transitstrecken um? Wie koordinieren wir große Transportprojekte? Wie könnte eine gemeinsame Mautpolitik im Alpenraum aussehen? Das sind sicherlich Herausforderungen, bei denen die bisherigen Instrumente der europäischen Regionalpolitik – die der Alpenkonvention, der Euregios usw. – nicht ausreichen.

„Die EUSALP ist kein Selbstläufer.“

Nun ist die Makroregion EUSALP mit ihren 80 Millionen Einwohnern auch recht groß. Wie kann man dort alle Akteure auf denselben Kurs bringen?

Chilla: Auch in der EUSALP wird man je nach Fragestellung mit dem Begriff der flexiblen Geografie arbeiten müssen. Es kann nicht sein, dass man in jedem Quadratkilometer der Makroregion auf die gleichen Aktionen setzt.

Sind Makroregionen das neue Europa?

Chilla: Man darf die Rolle der Regionen jetzt auch nicht überfrachten. Aber dass wir bei bestimmten Themen so räumlich konkret bleiben wie es nur geht, das ist schon wichtig – und hier sind Makroregionen ein sinnvoller Maßstab. Aber wie schon gesagt, wir brauchen eine funktionierende EU, auf die Europaregionen und Makroregionen bauen können. Die Migrationskrise führt uns vor Augen: Wenn Brüssel versagt, dann sind auch die Regionen handlungsunfähig.

Was wäre ein konkreter Nutzen für die Bevölkerung von der EUSALP?

Chilla: Die Makroregion ist dann ein Benefit für die Wähler, wenn Regionalpolitik besser, nachhaltiger, erfolgreicher läuft. Die EUSALP ist aber sicherlich kein Selbstläufer. Sie kann an der Lustlosigkeit einiger Politiker scheitern oder in der europäischen Überbürokratie versanden. Ich bin jetzt kein bedingungsloser EUSALP-Fan, aber ich sehe in der Makroregion Alpen schon das Potential, um über die Verflechtungen zwischen inneralpinen und voralpinen Räumen stärker nachzudenken.

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