Arbeitest du noch oder lebst du schon?
Arbeit ist nicht gleich Arbeit. In den nordischen Ländern arbeiten Frauen in der Regel ganztags, in den USA nie sehr lange für denselben Arbeitgeber, in Holland sind die Arbeitstage länger und für die junge Generation verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend. Marjaana Gunkel, Wirtschaftsprofessorin an der unibz, hat den Durchblick.
Frau Professor Gunkel, warum gibt es im Jahr 2017 immer noch so wenige Frauen in Führungspositionen?
Gunkel: Frauen in Führungspositionen sind zwar nunmehr Normalität, verglichen allerdings mit Männern sind sie immer noch in der Minderzahl. Was mich in meiner Forschung interessiert hat, ist die Frage, ob es Karrierebarrieren gibt und wieso Frauen sich seltener in Führungspositionen wiederfinden. Dabei spielen die klassischen Gründe der Kinder und Familienplanung eine Rolle, aber auch, dass Firmen wegen eventueller Schwangerschaften eher auf Männer setzen. Es geht oft um traditionelle Themen und Denken in Stereotypen.
Sie kommen aus Finnland. Sind die nordischen Länder diesbezüglich fortschrittlicher?
Gunkel: In Finnland arbeiten mehr Frauen ganztags als hier in Südtirol; verglichen mit Deutschland bleiben Frauen in Finnland nach ihrer Schwangerschaft zwar länger daheim, steigen dann aber wieder vollständig in ihren Beruf ein. In Südtirol sehe ich ganz praktische Schwierigkeiten, wie das Unterrichtsende um 12.30 Uhr, was es berufstätigen Eltern nicht gerade leichtmacht. In Finnland wird eine Nachmittagsbetreuung geboten, was wiederum Eltern in die Lage versetzt, ihre Arbeitszeiten besser zu gestalten.
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte kreist um das Thema Führungsstil.
Gunkel: Ich habe in einem deutschen Ministerium auf Länderebene eine Studie durchgeführt, die Karrierechancen und -barrieren von Frauen und Männern untersuchte. Mich stört, dass man häufig vergisst, dass auch Männer Karrierebarrieren haben können. Wir haben Männer wie Frauen gefragt, wie sie ihre Karrieren beurteilen. Ein wichtiger Punkt war der Wiedereinstieg nach einer Mutterschaft, da sich das Berufsleben rasant verändert und es nicht leicht ist, wenn man zurückkommt. Frauen fehlen vielfach Vorbilder, in Unternehmen wie in den Ministerien. Auch Netzwerke fehlen häufig, da sind Männer besser aufgestellt.
Können Sie noch anführen, was Männer als Karrierebarrieren sehen?
Gunkel: Zum Beispiel mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte, aber auch Doppelbelastung durch Beruf und Familie kann auch bei Männern eine Rolle spielen – Männer nehmen immer häufiger auch Elternzeit, daraus können Herausforderungen im Wiedereinstieg folgen.
Welcher Führungsstil liegt derzeit im Trend?
Gunkel: Es gibt große Unterschiede, was Mitarbeiter in unterschiedlichen Ländern motiviert, dazu zählt auch die Vorstellung des idealen Führungsstils. Das beginnt schon damit, wie viel Regelwerk wir für unsere Arbeit benötigen. Ist es okay, dass ich mit dem Vorgesetzten offen rede, oder ist es besser, ich bekomme einen Auftrag und arbeite ihn ab. Letztere Variante bevorzugen Mitarbeiter in asiatischen Ländern. In den USA hingegen wird oftmals mehr gemeinsam entschieden.
Gibt es eine universelle Formel für die Motivation von Mitarbeitern?
Gunkel: Auch da muss ich Sie enttäuschen. Die Anreize sind sehr verschieden. In den USA werden in Betrieben die Mitarbeiter des Monats gewählt und publiziert, was als stark motivierend wirkt. In Las Vegas sieht man z.B. die Gesichter des Mitarbeiters des Monates auf Billboards vor Casinos, er erhält in diesem Zeitraum auch einen Parkplatz direkt vor dem Eingang. In Deutschland wäre dies alles eher peinlich.
Chinesische Mitarbeiter empfinden Weiterbildung als motivierend, deutsche hingegen nehmen sie als selbstverständlich hin, gemäß dem Motto: „Es handelt sich nicht um eine Belohnung, sondern um mein Recht“. Chinesen wollen durch diese Weiterbildung weiterkommen. In Deutschland wirkt zum Beispiel ein Dienstauto stark motivierend. In Großstädten wie Tokyo ist das nicht interessant, da es viel Verkehr und keine Parkplätze gibt.
Ist auch die Bindung an eine Firma kulturgeprägt?
Gunkel: Ja, ganz stark. In den USA erwarten sich die Arbeitgeber nicht, dass viele lange Zeit bleiben. Ganz anders in China und Japan, dort bleiben viele ein Leben lang in derselben Firma. Das hat mit verschiedenen Erwartungshaltungen zu tun. Ein anderes Beispiel ist die Bereitschaft des Mitarbeiters, Überstunden zu leisten. In Holland wird beispielsweise länger gearbeitet als in Finnland. Nochmals anders verhält es sich natürlich bei Managementpositionen oder in bestimmten Branchen: Berater arbeiten generell länger als normale Angestellte.
Gilt dies auch für jüngere Mitarbeiter?
Gunkel: Bei der Generation meiner Studierenden ist der Wunsch nach einer Work-Life-Balance sicher ausgeprägter vorhanden. Aber auch der Wunsch nach Flexibilität, verbunden etwa mit der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Millenials arbeiten nicht weniger, aber die Art und Weise der Arbeit hat sich geändert; die ausgeprägte Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt. In vielen Berufen können die Mitarbeiter sagen, ich bin nicht mehr leistungsfähig und gehe früher, dafür mache ich dies am Samstag fertig oder am Abend.
Wächst also das Vertrauen in die Mitarbeiter?
Gunkel: Auch dies unterscheidet sich je nach Bereich. Beispielsweise in meinem Beruf als Professorin ist es schwer zu kontrollieren, wie intensiv ich außerhalb meiner Unterrichtsstunden, forsche,. Es zählt einzig das Output, z.B. die Evaluierung meiner Veröffentlichungen. In anderen Bereichen übt der Arbeitgeber mehr Kontrolle, etwa auch beim Home office.
Wie sind Sie nach Bozen gekommen?
Gunkel: Ich war vor einigen Jahren für die große VHB-Tagung (Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, AdR) an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Dabei habe ich einen Vortrag gehalten und Atmosphäre und Umgebung gefielen mir sehr gut. Als danach eine Stelle mit meinem Profil ausgeschrieben war, dachte ich mir „vielleicht guckst du mal“. Ich habe mich beworben und bin aus Magdeburg hierhergezogen. Da nun auch meine Familie hier lebt, ich meine Pferde hier habe, ist Ruhe und Normalität eingekehrt – man lebt nicht nur mehr aus dem Koffer.
Ein großes Thema in der Arbeitswelt ist derzeit das Burn-out – wie geht man im Personalmanagement damit um?
Gunkel: Für diese Erkrankung gibt es verschiedene Gründe. Die work-life-Balance ist durch die ständige Erreichbarkeit nicht mehr gegeben. Dies ist eine Belastung und führt bei vielen Managern zu Stress. Vor 30 Jahren beispielswiese konnte man außerhalb der Arbeitszeiten und im Urlaub mehr abschalten, da man keine E-Mails erhielt. Es gibt mittlerweile Unternehmen wie VW, die als Regel eingeführt haben, dass Mails nach 18 Uhr am Server bleiben und nicht mehr zugesandt werden. Das geht nicht bei allen –Zuständige für Produktionslinien werden erreichbar sein müssen bei 24-h-Schichten – aber für viele ist die nicht-Erreichbarkeit eine große Entlastung.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema emotionale Intelligenz. Warum ist sie wichtig?
Sehr wichtig. Emotionen sind ausschlaggebend für unsere Arbeitsweise und damit den Erfolg eines Unternehmens. Wenn ich sauer bin, treffe ich falsche Entscheidungen, bei Trauer bin ich demotiviert, und wenn ich wütend bin, arbeite ich mehr. Das sollte ein jeder von sich selbst wissen. Und andersrum: Wenn ich mein Gegenüber emotional richtig einschätze, kann ich die Situation für mich nutzen. Es handelt sich um eine wertvolle Kompetenz, Emotionen gut zu nutzen oder zu kontrollieren. Wenn Manager schreien, ist das nicht motivierend. Das ist das Verhalten in Organisationen, ein Mischbereich zwischen Personalmanagement und Psychologie.
Haben Frauen was die emotionale Intelligenz betrifft den Männern etwas voraus?
Gunkel: Frauen können die Emotion anderer besser einschätzen, Männer wiederum eher ihre eigenen. Entscheidender als das Geschlecht ist die Art wie man als Führungskraft mit Konflikten im Team umgeht. Es gibt Tests, wie man das messen kann.
Achten Unternehmen bei der Auswahl von Führungskräften auch auf deren Hobbies?
Gunkel: Ich zum Beispiel reite Pferde auch in Turnieren und habe beobachtet, dass, wenn man über lange Zeit einen Sport betreibt, man zielstrebiger, leistungsorientierter ist. Zudem ist ein Ausgleich zum Berufsleben enorm wichtig. Auch wenn mir Beruf wichtig ist, habe ich etwas anders. Im Englischen spricht man von einer „well-rounded personality“, also einer runden Persönlichkeit.
Seit April 2015 lehrt die Finnin Marjaana Gunkel an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften die Fächer Organisation und Führung. Ihre Forschungsschwerpunkte setzt sie auf Personalmanagement und organisatorisches Verhalten im internationalen Vergleich. Im März organisierte sie gemeinsam mit Prorektorin Stefania Baroncelli den Workshop „Women in Leadership“.
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