Für die Gesundheitsstudie CHRIS im Vinschgau beginnt ein neues Kapitel

Vor kurzem erhielt Martina aus Schlanders die Einladung, im CHRIS-Zentrum im örtlichen Krankenhaus einen Termin für ein Gespräch, einen Bluttest und eine Reihe anderer Messungen zu vereinbaren. Schon 2011 war sie dort gewesen, als eine der ersten Teilnehmerinnen an der CHRIS-Bevölkerungsstudie; einige Wochen darauf machte sie einen Termin für ihre ganze Familie.

Seit ihren Anfängen vor zehn Jahren ist die CHRIS-Studie, gemeinsam durchgeführt von Eurac Research und dem Südtiroler Sanitätsbetrieb, zu einer immer wichtigeren Ressource für die regionale und internationale Forschung geworden. Mit dem Beginn der zweiten Phase wird CHRIS nun zu einer prospektiven Studie, in der beobachtet werden kann, wie sich der Gesundheitszustand der Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Lauf der Zeit entwickelt; in Kombination mit genetischen Informationen lassen sich so wertvolle neue Erkenntnisse gewinnen.

CHRIS ist eine Kohortenstudie – untersucht wird die Gesundheit einer bestimmten Gruppe von Menschen im Laufe der Zeit –, und in ihrer Art in Italien und weltweit einmalig. Da viele dauerhaft im Tal ansässige Familien teilnehmen, können die Forschungsteams genealogische Informationen rekonstruieren und den Gesundheitszustand mehrerer Generationen derselben Familie beobachten. Die untersuchte Gruppe umfasst außerdem die allgemeine Bevölkerung und ist repräsentativ, was selten ist: Oft haben solche Studien das Ziel, eine bestimmte Krankheit zu erforschen, sie beschränken sich also auf Menschen, die an ihr leiden. Eine Besonderheit von CHRIS ist auch die enge Einbindung der Bevölkerung: In den Gemeinden des Obervinschgaus nahm mehr als ein Drittel der Bevölkerung an der ersten Studienphase teil, und auch an nachfolgenden spezifischen Unterstudien, etwa zu neurodegenerativen Störungen oder Fettlebererkrankungen, war die Beteiligung hoch. In zehn Studienjahren gab es nur einen einzigen Rücktritt.

Von jedem, der teilnimmt, wird eine Vielzahl Daten gesammelt: Informationen zur Krankengeschichte und zum Lebensstil, ein 20-minütiges Elektrokardiogramm, mehr als hundert Biomarker aus Blut- und Urintests. Ergänzt wird das Bild noch durch die Zusammenarbeit mit dem Sanitätsbetrieb: Mit Einwilligung der Betroffenen kann die CHRIS-Datenbank die Informationen aus der Studie mit jenen in den Krankenakten des Sanitätsbetriebs zusammenführen – ein in Italien noch wenig verbreitetes System, dank dem die Forschung über sehr umfassende Gesundheitsdaten verfügt.

Die zweite Phase wird diese Informationen nun noch entscheidend erweitern: Alle Messungen werden wiederholt, um die Entwicklung der Gesundheit im Lauf der Zeit zu beobachten; auf einer so breiten Datengrundlage können das bisher weltweit nur sehr wenige Studien.

Die Errungenschaften in zehn Jahren CHRIS sind zahlreich. Dazu zählt die Biobank, die das Institut für Biomedizin von Eurac Research in Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern von Bozen und Meran, den größten der Provinz, eingerichtet hat; verteilt auf die beiden Standorte lagern hier schon eine Million biologischer Proben bei einer Temperatur von -80 Grad Celsius und unter Einhaltung strengster Sicherheitsstandards. Auch haben die Forschungsteams den Genotyp der gesamten Kohorte bestimmt und bei 3600 Menschen die Exons sequenziert, also die wichtigsten Genabschnitte, die für Eiweiße codieren. Bei 7000 Menschen führten sie metabolomische Analysen durch, um bestimmte Zellprozesse zu untersuchen.

Vor zehn Jahren startete die in Italien einzigartige Bevölkerungsstudie. Nun geht sie in die zweite Phase, 13.000 Menschen nehmen teil.

Dank dieser Arbeit und der Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen haben die Daten aus CHRIS zu wichtigen Forschungsvorhaben in Europa und auf der ganzen Welt beigetragen. Auch anhand von CHRIS-Daten konnten internationale Studien Hunderte von genetischen Varianten identifizieren, die mit Nierenfunktion, Schilddrüsenfunktion, Herzgesundheit, Fettleibigkeit, Glukosestoffwechsel und Diabetes in Zusammenhang stehen.

Die CHRIS-Studie bildet auch eine wertvolle Basis für die CHRIS-Covid-19-Studie, die seit Sommer 2020 durchgeführt wird. Während der akuten Phase der Pandemie musste der „normale“ CHRIS-Studienbetrieb eingestellt werden. Stattdessen wurde jedoch in kürzester Zeit die CHRIS Covid-19-Studie ins Leben gerufen, an der sich 4.500 CHRIS-Teilnehmer und ihre Familien beteiligten. Ziel der Studie ist es, Informationen über genetische Schutz- und Risikofaktoren bei einer Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus zu erhalten. Die bereits während der ersten Studienphase von CHRIS gesammelten Daten und Proben werden nun durch jene der Covid-19-Studie ergänzt und bilden so eine wertvolle Ressource, die Informationen über den Gesundheitszustand vor und nach einer möglichen SARS-CoV2-Infektion liefert. Gleichzeitig bildete sie die Grundlage, um Infektionstrends im Vinschgau zu überwachen. Darüber hinaus trugen die Daten im Rahmen des weltweit größten Forschungskonsortiums für Genetik und Covid-19 (COVID-19 Host Genetics Initiative) dazu bei, mehrere Orte im Genom zu identifizieren, die mit einem schweren Verlauf der Krankheit in Verbindung stehen.

Bevölkerungsstudien liefern seit jeher wichtige medizinische Erkenntnisse. Viel Wissen, das wir heute als selbstverständlich ansehen, wurde durch solche Studien gewonnen. So wies erst die 1948 in den USA begonnene Framingham-Studie den Zusammenhang zwischen Lebensstil und bestimmten Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach und eröffnete damit Möglichkeiten der Prävention. „Mit Zunahme der gesammelten Informationen wird auch die Bedeutung von CHRIS im Laufe der Zeit noch zunehmen. Die Forschungstechnologien entwickeln sich ständig weiter: In der Genforschung etwa hat die Datenmenge, die wir heute zu erschwinglichen Kosten analysieren können, ungeahnte Ausmaße erreicht und sie nimmt weiter zu. Dank moderner Biobanken und umfassender Datenbanken mit genetischen Informationen nähern wir uns so immer mehr der sogenannten Präzisionsmedizin, bei der Prävention, Diagnose und Behandlung auf die genetischen und biologischen Merkmale des jeweiligen Menschen zugeschnitten sind; im Bereich der Onkologie ist dieser Ansatz bereits Realität, und er kann noch viele andere Bereiche der Gesundheitsversorgung verändern“, erklärt Peter Pramstaller, Leiter des Instituts für Biomedizin von Eurac Research.

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