Desinformation sickert nach und nach in den öffentlichen Diskurs und gefährdet unsere Demokratie. Elisa Piras gräbt berufsbedingt tief im medialen Sumpf, durchforstet akribisch die Literatur und verfolgt die aktuellen Debatten in Gesellschaft und Politik, um zu erforschen, welche Mechanismen dahinterstecken.

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien.“ Als Niklas Luhmann, deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, diese Zeilen an den Beginn seines vielzitierten Werkes „Die Realität der Massenmedien“ setzte, hatte er wohl kaum eine Vorstellung davon, wie sich die Welt und vor allem die Medien verändern würden. Nämlich, dass diesem Wissen über die Welt mittlerweile auch eine ordentliche Portion an Falschnachrichten beigemengt ist. Elisa Piras ist Politikwissenschaftlerin am Center for Advanced Studies von Eurac Research. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie Desinformation und Fake News unsere Demokratie untergraben und welche Gefahr sie für unsere ohnehin schon fragile Gesellschaft darstellen. Denn: Hinter Fake News steckt System.

Fake News als politische Waffe

„Ich versuche zu verstehen, wie Fake News den öffentlichen Diskurs infiltrieren und wie sich die Art und Weise verändert, wie dieser Diskurs geführt wird“, erklärt Piras. „Hinter Fake News stecken meist wirtschaftliche und politische Absichten. Ziel ist es, die individuelle Meinung und den Konsens zu beeinflussen, der schlussendlich auch für politische Entscheidungen und das Vertrauen in Institutionen ausschlaggebend ist. Was sind Fake News? Schon bei der Begriffsdefinition gibt es unzählige Interpretationen. Um das System „Fake News“ und seine Wirkung tatsächlich greifbar zu machen, braucht es neben empirischer Forschung deshalb auch eine theoretische Einordnung, welche sicherstellen soll, dass alle über dasselbe Thema sprechen.“

Falschnachrichten gab es schon immer, doch mit dem Begriff Fake News kamen die meisten von uns wohl 2016 in Berührung. Zwei Ereignisse waren dafür bezeichnend, nämlich das Brexit-Referendum und die Präsidentschaftswahlen in den USA. Und es sind auch diese beiden Beispiele, an denen sich am deutlichsten ablesen lässt, zu welchen Zwecken Falschnachrichten eingesetzt werden. Da gäbe es etwa den innerstaatlichen Rundumschlag Donald Trumps, um all jene Medien zu diskreditieren, die nach journalistischen Standards über ihn berichten. Oder den Einsatz als gezielte politische Waffe gegen andere Staaten. Denn noch bevor Russland mit schwerer Artillerie gen Nachbarländer zog, brachte es mit Fake News ganz andere Geschütze in Stellung, um westlichen Demokratien zu schaden. „In Kriegszeiten, wie wir sie derzeit erleben, ist die Verbreitung von Falschnachrichten an der Tagesordnung. Sie ist sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet und geht von Regierungen, aber auch von anderen Akteuren aus, die ein Interesse an dem Konflikt haben“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Unser Gehirn liebt kognitive Abkürzungen. Eine Tatsache, die Fake News zupasskommt, weil sie einfache Wahrheiten liefern.

Und täglich grüßt das Murmeltier

„Es ist inzwischen belegt, dass in den vergangenen Jahren eine große Anzahl von Falschnachrichten von Russland aus gesendet wurde. Man spricht von sogenannten Fake-News-Fabriken, ganzen Armeen von Trollen und Bots, deren Verbindung zur russischen Regierung trotz großer Bemühungen bislang nicht nachgewiesen werden konnte.“ So wird vermutet, dass auch die Verleumdungsaktion Pizzagate ihren Ursprung in Russland hat. Die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton habe – laut besagter Verschwörungstheorie – aus dem Keller einer Washingtoner Pizzeria heraus einen Kinderpornoring betrieben. Hanebüchener Unsinn, doch: „Diese Falschnachricht hat sich über 4chan, Reddit, Facebook und Twitter zig millionenfach verbreitet und obwohl ihr nicht ein Hauch von Fakten zugrunde liegt, beweist sie sich als bis heute resistent. In den vergangenen Jahren wurde sie immer wieder neu geteilt – mittlerweile nicht mehr auf Facebook, sondern auf TikTok, um somit eine neue Zielgruppe zu erreichen, die noch zu jung ist, um sich an die Debatte vor einigen Jahren zu erinnern“, erläutert Piras.

 

Subtil und deshalb gefährlich

Noch schwieriger zu enttarnen seien Deepfakes – mittels künstlicher Intelligenz erstellte Fotos, Audio- oder Filmaufnahmen. Um in einem Video das Gesicht einer Person auszutauschen oder eine Stimme zu manipulieren, braucht es heute keine besonderen technischen Kenntnisse. Ein Smartphone und frei verfügbare Software reichen. Ist ein Deepfake in Umlauf, könne zwar darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich um manipulierten Inhalt handelt, doch erstens sehen nur ein Bruchteil der Rezipientinnen und Rezipienten auch die Richtigstellung und zweitens zeigen Studien: Selbst jene, die sie sehen, sind nur selten bereit, ihre Meinung zu revidieren.

Zurück nun zu den Fake-News-Kampagnen im Zuge von Brexit und US-Wahlkampf. Sind Brexit und Trump nun auf Fake News zurückzuführen? „Nein. Fake News verkomplizieren ganz bestimmt den demokratischen Diskurs, sie haben jedoch keine entscheidenden Auswirkungen. Es wäre eine sehr verkürzte Sichtweise, wenn man die Wahl eines Donald Trump auf Fake News zurückführen würde und auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse unterstreichen, dass das Wahlverhalten nach wie vor von sozioökonomischen Faktoren abhängt“, will Piras hervorgehoben wissen. Was man jedoch mit Sicherheit sagen könne, ist, dass Fake News zur Bildung spezieller verschwörerischer Subkulturen beigetragen haben, die letztlich auch in Aktionen wie etwa den Sturm auf das Kapitol in Washington mündeten. Der Einfluss dieser Subkulturen werde bis heute noch zu wenig beforscht. „Sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tendieren dazu, sich mit den Diskursen dieser Subkulturen nicht zu beschäftigen, weil es sich um Diskurse einer Minderheit handelt. Erst wenn xenophobe oder misogyne Meinungen plötzlich ganz offen geäußert werden, zeigt man sich verwundert. Es muss uns bewusst sein, dass diese Diskurse der Nährboden für durchaus gefährliche, subversive Bewegungen sind, wenn wir etwa an die Internet-Subkultur Incel denken oder an Gruppen, die die Gleichheit aller Menschen offen in Frage stellen. Solches Gedankengut formt sich nicht von selbst, sondern lebt vom Austausch und von Beeinflussung.

 

Quellenkritik ist erlernbar

Woher kommen solche Meinungen, wie werden sie genährt und welche Auswirkungen hat ihre Verbreitung? Diese Fragen zu beantworten, muss ein interdisziplinäres Unterfangen sein, denn es geht nicht nur darum, wie Fake News in Umlauf gebracht werden, wie sie entstehen oder welche technischen Details dahinterstecken. „Jede und jeder von uns hat das Recht, die eigene Meinung zu äußern, doch es braucht auch das Verständnis dafür, wann es angemessen ist, diesem Recht Grenzen und Beschränkungen aufzuerlegen“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Hier gelte es sehr sensibel vorzugehen, denn die bloße Existenz von Fake News dürfe nicht zu Zensur oder zur Schließung bestimmter Online-Dienste führen. Wichtiger sei es, Menschen über die Mechanismen von Fake News aufzuklären und das, ohne die Moralkeule hervorzuholen. „Unser Gehirn liebt kognitive Abkürzungen. Eine Tatsache, die Fake News zupasskommt, weil sie einfache Wahrheiten liefern. Bei schwarz oder weiß müssen wir unseren Geist nicht mit Graustufen plagen. Auch in sozialen Medien finden wir Fake News oft neben Sportnachrichten oder unterhaltsamen Inhalten, die wir zum Zeitvertreib konsumieren. Warum? Weil die Schwelle kritischer Aufmerksamkeit sinkt – ebenso, wenn Inhalte von vertrauten Personen geteilt werden“, fasst Piras zusammen.

Die gute Nachricht: Quellenkritik kann trainiert werden. In der Schule, von Eltern und Verwandten, von Vorbildern. Denn was eingangs erwähnter Luhmann ebenso feststellt: Bei all den medial vermittelten Informationen über die Welt, sollte man sich immer auch die Frage stellen, wie diese Informationen produziert werden.

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