Die Kuh darf nicht nur Kulisse sein
Was macht Agrotourismus aus? Kann man dafür international verbindliche Kriterien
festlegen? Auf dem ersten Weltkongress am Bozner Forschungszentrum Eurac Research
wurden Erfahrungen und Ansichten aus 40 Ländern ausgetauscht.
Der Forscher Thomas Streifeneder macht häufig Urlaub auf dem Bauernhof, in verschiedensten Regionen und Ländern, und die eine Frage, die er sich dabei nicht stellen möchte, ist die: „Bin ich hier überhaupt auf einem richtigen Bauernhof?“ Die Frage dränge sich aber manchmal auf, sagt Streifender, wenn er Zimmer und Bäder in Agrotourismus-Betrieben sehe: „Der Standard ist teilweise schon sehr sehr hoch.“ Befremdlich hoch in manchen Fällen, findet der Forscher, nicht nur, weil Bauernfamilien sich mit den nötigen Investitionen oft auf Jahre hinaus verschulden. Es geht auch nicht nur um persönlichen Geschmack. Die Frage, die Zimmer im Alpin-Chic-Stil, Swimmingpools und Wellnessangebote aufwerfen, ist eine viel größere und ihre Beantwortung hat weitreichendere Folgen (nicht zuletzt im Hinblick auf Förderpolitik). Worum es geht, ist kurz gesagt der Kern des Ganzen. Wann ist ein Hof noch authentisch bzw. nicht austauschbar, wann geht das Originäre, Bäuerliche in Inszenierung unter? Wann ist die Erfahrung für Gäste nicht mehr einzigartig und individuell? Kann man das regeln? Und wenn ja: nach welchen Kriterien? Darf die Auslastungsquote – die mit höherem Standard nachweisbar steigt – alle anderen Argumente ausstechen?
Um solche und andere Aspekte nicht nur aus europäischer Perspektive zu diskutieren, hat das Institut für Regionalentwicklung von Eurac Research, das Streifeneder leitet, gemeinsam mit Bauernbund und Rotem Hahn den ersten Agrotourismus-Weltkongress organisiert. Experten und Praktiker aus 40 Ländern tauschten sich in Bozen aus – ein erster wichtiger Schritt auf ein Ziel zu, das Streifeneder so beschreibt: „Agrotourismus als eine unverfälschte, nachhaltige Urlaubsform zu erhalten, die sich abgrenzt von anderen touristischen Angeboten im ländlichen Raum.“ Dass diese Grenzziehung nicht immer einfach ist, führte der Kongress deutlich vor Augen: Da wurden zum Beispiel unter dem Label Agrotourismus kulinarische Routen vorgestellt – nach Streifeneders Empfinden eine allzu weite Begriffsauffassung. Zwar sollte Agrotourismus als zusätzliche Einkommensquelle möglichst vielen Bauernfamilien offenstehen, ist er überzeugt; „doch auf ein paar grundlegende Kriterien muss man sich einigen, wenn diese Tourismusform nicht ihren besonderen Charakter verlieren soll.“ Für ihn unverzichtbar: Ein Agrotourismus-Hof muss ein funktionierender landwirtschaftlicher Familienbetrieb sein, dessen touristisches Angebot mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit im Einklang steht und die Besonderheiten des Hofs – Produkte, Anbauformen, Traditionen – in Wert setzt. Für den Gast wiederum sollte der Urlaub auf dem Bauernhof mit einer „Lernerfahrung“ verbunden sein, findet Streifeneder – ob man nun Kräuterrezepte ausprobiert oder einfach Einblick in den bäuerlichen Alltag erhält. Ein Beispiel aus Indien hat ihm gut gefallen: Dort vergibt ein Bauer ein Zertifikat über „one day on a farm“, wenn der Gast aus der Stadt einen Tag lang mitgearbeitet hat. „Aber ist es schon eine Lernerfahrung, wenn jemand nur in einem Agrotourismusbetrieb zu Mittag ist?“, fragt Streifeneder zweifelnd. „Das ist sicher zu diskutieren.“
Wie so vieles. Wer kann zum Beispiel kontrollieren, ob eine Bauernfamilie tatsächlich mehr Zeit mit der Landwirtschaft verbringt als mit dem Tourismus, wie das Gesetz es verlangt? Wie ist sicherzustellen, dass der Hofbetrieb nicht unter dem Gastbetrieb leidet? Und wenn drei Viertel des Einkommens von den Gästen kommt, wird die Landwirtschaft da mit der Zeit nicht automatisch nur noch schmückendes Beiwerk?
Ein konkretes Ergebnis des Kongresses ist ein wissenschaftlicher Rat aus internationalen Experten, der sich künftig eingehend mit diesen Fragen befassen und an einer Definition von „Agrotourismus“ arbeiten wird. Ein anderes Resultat ist das dichte internationale Netzwerk, das man geknüpft hat – und unbedingt pflegen und ausbauen will. Denn es gibt viel voneinander zu lernen. Eine Expertin aus Südafrika etwa berichtete von Farmbetrieben, die bewusst alte Getreidesorten anbauen und einheimische Tierrassen züchten, um die Vielfalt zu erhalten und Gästen diesen Wert zu vermitteln. Agrotourismus-Betriebe als Horte und Erfahrungsorte der Biodiversität – da leuchten Streifeneders Augen vor Begeisterung.
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