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Bis vor kurzem wurde die fortschreitende Digitalisierung als großer Befreiungsschlag für die Menschheit gehandelt: Künstliche Intelligenz, Arbeitsroboter und neue Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine sollen unser Leben verlängern und lebenswerter machen. Nun warnen immer mehr Experten davor, dass Supermaschinen schon bald schlauer als wir sein könnten und damit zur existentiellen Bedrohung für die Menschheit werden.

Es gibt ihn schon, den Cyborg: Er ist 33 Jahre alt, Künstler und kommt aus Großbritannien. Neil Harbisson wurde mit einem Sehfehler geboren. Heute sieht er zwar noch immer keine Farben, aber dank einer Sonde, die fest auf seinem Kopf verankert ist und ein bisschen aussieht wie eine Antenne mit aufgesetzter Headcam, kann er Farben hören, über 360 Nuancen. Der Besuch eines Supermarkts ist für Harbisson ein Fest der Töne. Die Natur sei um einiges langweiliger, erzählte er in der ARD-Reportage Quarks&Co.

Neil Harbisson und sein Eyeborg sind längst schon zum Ich verschmolzen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase haben sich in Harbissons Gehirn ganz neue Synapsen gebildet. Spätestens seit der Künstler erreicht hat, dass sein Eyeborg auf dem Passbild als Teil seiner Persönlichkeit aufscheinen darf, gilt er als erster offizieller Cyborg.

Nun ist die Verschmelzung von Mensch und Maschine nichts vollkommen Neues. Strenggenommen sind auch Menschen mit Herzschrittmachern, Hirnschrittmachern, die u.a. heute schon bei Parkinson eingesetzt werden, oder Beinprothesen - wie sie etwa der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius trägt -Cyborgs. Neu am Menschen 2.0 ist, dass er künftig nicht nur seine physischen Unzulänglichkeiten – wie etwa einen Sehfehler oder ein Herzleiden - mit Hilfe von Cyborg-Enhancements beheben kann, sondern auch beliebige Optimierungen an sich vornehmen, die die bisherigen physischen Fähigkeiten des Menschen sprengen. Warum sollte der Mensch beispielsweise nicht auch Infrarot wahrnehmen können, also auch im Dunkeln sehen, oder sein Gehirn über eine Sonde direkt mit einem Computer verbinden, um die eigenen mentalen Fähigkeiten zu verbessern? Und wenn am Ende unser Cyborg-Körper doch versagt, dann können wir noch schnell die Inhalte unseres Gehirns auf einen Server herunterladen und in aller Ewigkeit in einer Cloud weiterleben.

KI existiert in Schaltkreisen von Servern, Computern, Smartphones. Drehen wir dem einen Schaltkreis den Saft ab, schreibt sich die Superintelligenz in einem anderen fort.

Doch während die einen vom Supermenschen träumen, sprechen die anderen vor der größten existenziellen Bedrohung für die Menschheit, allen voran Elon Musk, der Tesla- und SpaceX Chef. Erst Anfang September hat er wieder eindringlich davor gewarnt, dass Künstliche Intelligenz (KI) den Dritten Weltkrieg auslösen könne, wenn sie nicht vorausschauend von politischer und ethischer Seite reguliert werde. Interessant ist, dass Musk als Vorreiter bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz bislang von der geringen Regulierung profitiert hat.

Um die Möglichkeiten von KI – also Software, die menschliche Intelligenz nachbildet und automatisiert Entscheidungen trifft - zu erahnen, muss man nicht in die Zukunft blicken. KI ist schon heute allgegenwärtig. Sie steuert Autos, Flugzeuge und Drohnen. Sie wickelt auf den weltweiten Finanzmärkten in Sekunden Milliardengeschäfte ab, die selbst für den smartesten Broker und EDV-Spezialisten nicht annähernd nachvollziehbar sind. Sie führt Skalpelle in Operationssälen mit einer Präzision, die kein Starchirurg jemals erreichen kann. Und mal ehrlich: Wir alle nutzen unser Smartphone bereits heute als unser ausgelagertes, erweitertes Hirn. Es steigert unsere Sinneswahrnehmung, ersetzt unseren Orientierungssinn und unterstützt unser Langzeitgedächtnis. Soweit so gut.

Doch was passiert, wenn sich KI verselbständigt? Wie können wir sicher gehen, dass sie sich ganz im Sinne ihres Schöpfers weiterentwickelt? Was, wenn sich die Superintelligenz eines Tages gegen den Menschen richtet, weil er der einzige ist, der sich der Fortschreibung ihres „perfekten“ Programms in den Weg stellen kann? Davor warnt auch der Philosoph Nick Bostrom in seinem Sachbuch Superintelligenz. „KI existiert an keinem bestimmten Ort, sondern in Schaltkreisen von Servern, Computern, Smartphones. Drehen wir dem einen Schaltkreis den Saft ab, schreibt sich die Superintelligenz in einem anderen fort“, erklärt Bostrom. Man müsse handeln, und zwar kollektiv, bevor der Geist aus der Flasche gelassen ist! Gemeinsam mit dem Astrophysiker Stephen Hawking hat Bostrom 2015 einen offenen Brief geschrieben, in dem er dazu aufruft, KI-Systeme schon vorab mit klaren Zielen auszustatten und diese auch von Anfang im Sinne des ethisch-moralischen Wertesystem des Menschen zu programmieren.

Jene Technologien, die auf der einen Seite Krebs heilen, können den Menschen auf der anderen zum Monster umformen.

Roland Benedikter, Soziologe am Bozner Forschungsinstitut Eurac Research, sieht das ähnlich: „Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära. Zum ersten Mal haben wir die Möglichkeit, den Menschen selbst umzugestalten - etwa um Krankheiten zu heilen oder sie von vornherein auszuschließen.“ Doch sei Vorsicht geboten: Jene Technologien nämlich, die auf der einen Seite Krebs heilen würden, können den Menschen auf der anderen zum Monster umformen. „Die Potenz der Umgestaltungskraft von Technologie steigt, und damit nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Ambivalenz. Nur wenn wir den Blick in diesen Abgrund nicht scheuen und an die technologische Weiterentwicklung auch immer wieder eine ethische knüpfen, wird uns KI zu einem besseren Leben verhelfen. Das ist die heutige transhumanistische Herausforderung“, so Benedikter.

Im äußersten Notfall hilft der „Kill Switch“. Entwickelt haben ihn Google-Forscher von DeepMind gemeinsam mit der University of Oxford. Die Sache ist nämlich die: Selbst wenn wir darauf bedacht sind, einer KI so klar wie möglich zu sagen, was wir von ihr wollen, kann es zu Fehlinterpretationen kommen. In diesen Fällen muss der Mensch nachbessern. Nun könnte es passieren, dass KI diesen Eingriff von außen als Störfaktor in seiner eigenständigen Weiterentwicklung wahrnimmt. Und solche Störfaktoren gilt es auszublenden. Damit es dazu nicht kommt, muss die Maschine zu jedem Zeitpunkt über den „Kill Switch“ vom Menschen abgestellt werden können.

Im Februar 2017 haben die EU-Parlamentarier erstmals eine Resolution erlassen, die so einen Notschalter einfordert. Zunächst einmal für selbstfahrende Autos. Entwickler müssen das Fahrzeug so konzipieren, dass der Fahrer die Kontrolle über seinen Wagen jederzeit wieder übernehmen kann.

Und sollte die KI doch die Oberhand gewinnen, so hat – wie konnte es anders sein - Elon Musk schon vorgesorgt. 2016 hat er die Firma Neurolink gegründet. Ziel des Unternehmens ist es, das menschliche Gehirn mit Hilfe von Elektroden direkt an die digitale Welt anzukoppeln. Am Ende ist es gar ein Cyborg mit aufgemotzter Denkleistung, der uns vor der größten Bedrohung für die Menschheit rettet?

 

Der Beitrag ist am 7.12.2017 in der SWZ erschienen

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