Hermann Brugger (Notfallmediziner - Eurac Research) und Georg Niedrist (Biologe - Eurac Research)

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Der terraXcube simuliert Höhen bis zu 9000 Meter, Temperaturen von -40 bis +60 Grad, extreme Stürme, Regen und Schnee. Als Extremklimasimulator soll er den Forscher zum entscheidenden Durchbruch in der Höhenmedizin verhelfen. Interessant ist das einzigartige Labor aber auch für Studien im Bereich Klimawandel oder Umwelt, und natürlich für die Privatindustrie, wenn es darum geht, Produkte wie Bekleidung oder Fahrzeuge für jede Wetter- und Höhenlage zu rüsten.

Für die Feldforschung in der alpinen Notfallmedizin haben Sie schon so manche Unannehmlichkeit auf sich genommen. Welches war ihr extremstes Außenlabor-Erlebnis?
Hermann Brugger: 1999 machte ich gemeinsam mit einem Freund und Kollegen auf dem Stubaier Gletscher einen Selbstversuch: Wir simulierten eine Verschüttung, um zu testen, wie sich im Falle eines Lawinenunglücks der Sauerstoffmangel manifestiert – in der Medizin spricht man von Hypoxie. Das war keine gute Idee. Mir ging es sehr schnell sehr schlecht. Als mich mein Freund vom Atemschlauch befreite, war ich schon blau angelaufen. Damals gab es noch keine Forschung in der alpinen Notfallmedizin. Heute gibt es sie, und wir gehen weit professioneller vor. (lacht)

Und dennoch sind Feldtests noch immer mit vielen Risiken verbunden?
Brugger: Es ist und bleibt gefährlich. 2016 testete unser Team in Cervinia auf 2550m Höhe Geräte, die im Falle einer vollständigen Lawinen-Verschüttung die Sauerstoffzufuhr verlängern. Am dritten Tag hatten wir bei herrlichem Wetter Stellung genommen, als das Wetter plötzlich umschwang und keinen Kilometer von uns eine große Lawine ins Tal donnerte.
Im August 2014 schlugen wir für drei Wochen auf dem Ortler unsere Zelte auf, in 3820 Metern Höhe, um die Höhenkrankheit zu studieren. Auch wenn die Ethikkommission der Studie zugestimmt hatte und Notärzte vor Ort waren, hatte ich die ganze Zeit über ein mulmiges Gefühl: Was, wenn das Wetter umschwingt und ein Proband oder Notarzt akut höhenkrank wird? Wir wären nicht in der Lage gewesen, ihn auszufliegen, und hätten ihn mit einer Verletztentrage über die Wand abseilen müssen. Das dauert ewig. Zum Glück arbeiteten wir drei Wochen lang unter strahlend blauem Himmel.

Hat sich der Außendienst gelohnt?
Brugger: Teilweise. Denn da ist ja nicht nur die Gefahr, der wir Probanden und Forscher aussetzen – Probleme gibt es auch bei der Datenauswertung. Zum einen sind die Datensätze klein. Am Ortler waren es gerade einmal 21 Probanden, während Reanimationsstudien in Städten auf Datensätze von tausenden Fällen zugreifen können. Und dann sind die Datensätze der Ortler-Studie nicht mit Feldtests am Everest Base Camp, auf der Margherita Hütte in Zermatt oder in Colorado vergleichbar: Es ist nicht dasselbe Klima, es sind nicht dieselben Höhenprofile; und ebenso wenig können wir die Probanden vergleichen: die einen sind schnell aufgestiegen, die anderen langsam, es haben nicht alle das gleiche gegessen oder gleich viel Flüssigkeit zu sich genommen usw.
Kleine Stichproben und viele Störfaktoren sind der Grund dafür, warum es in 150 Jahren Höhenmedizin noch keinen großen Durchbruch in Sachen Höhenkrankheit gab. Wir können noch immer nicht vorhersagen, wann sie eintritt und warum manche Menschen anfälliger dafür sind als andere.

Wir können bisherige Studien, etwa aus Nepal, Colorado, vom Ortler usw., im Simulator replizieren und sehen, inwieweit die Daten übereinstimmen.

Und nun kommt der terraXcube ins Spiel, ein Extremklimasimulator…
Brugger: ….der mehrere Register gleichzeitig spielen kann. Er simuliert Höhen von bis zu 9000 Meter über dem Meeresspiegel, Temperaturen von -40 bis +60 Grad, sowie sämtliche alpine Wetterlagen –extreme Stürme, Regen und Schnee inklusive. In der großen Klimakammer können sich 12 Probanden bis zu 45 Tage lang aufhalten. Im Simulator können wir weit mehr Stichproben entnehmen und viele Störfaktoren einzeln oder gemeinsam testen. Wir können Versuche mehrfach unter den genau gleichen Bedingungen wiederholen und, was extrem spannend ist, wir können bisherige Studien, etwa aus Nepal, Colorado, vom Ortler usw., im Simulator replizieren und sehen, inwieweit die Daten übereinstimmen. Abgesehen davon bietet der Simulator weit mehr Sicherheit als ein Outdoor-Labor, bei geringeren Kosten.

Ein Faktor lässt sich wohl kaum simulieren und das ist der Stress, dem Menschen in solchen Höhenlagen ausgesetzt sind.
Brugger: Das stimmt. Wir können das Abenteuer Berg nicht eins zu eins im Simulator replizieren. Selbst wenn wir Helikoptergeräusche abspielen und über die Videoleinwand die Bergwelt projizieren würden. Deshalb wird es auch weiterhin Feldversuche geben.

Herr Niedrist, Sie sind Biologe und viel im Freilandlabor Matschertal unterwegs, um etwa den Klimawandel in den Alpen zu studieren. In Lebensgefahr geraten sie da nicht unbedingt. Warum ist für Sie ein geschütztes Labor wie der terraXcube spannend?
Georg Niedrist: Weil ich mir dann die lange Anfahrtszeit von zwei Stunden und den 800 Höhenmeter-Aufstieg erspare. (lacht) Im Unterschied zur alpinen Notfallmedizin ist die Biologie eine sehr alte Disziplin. Und wir arbeiten schon seit langem mit Brutschränken oder Gewächshäusern, in denen wir Umweltszenarien eins zu eins replizieren und studieren. Das besondere an der kleineren Klimakammer des terraXcube – mit der wir vornehmlich arbeiten werden – ist sicherlich die Druckkomponente.

 

Zunächst wird es einmal einen Vorversuch geben. Wir müssen erst einmal testen, was die Kammer alles kann und sie, ähnlich einem Ferrari, feintunen.

Das heißt, Sie können Pflanzen oder Insekten in höhere oder niedrigere Lagen versetzen ohne sie zu bewegen?
Niedrist: Genau. Bisher mussten wir zum Beispiel ein Stück Bergwiese ausstechen und tiefer oder eben höher im Tal wieder einpflanzen. Nun können wir ihre Höhenlage auf Knopfdruck verändern. Grundsätzlich geht man davon aus: Wenn es wärmer wird, dann wandern Organismen nach oben, eben in kühlere Höhenlagen. Was wir aber noch nicht wissen: Wie verkraften es diese Organismenbei höherer Strahlung weniger Sauerstoff zur Verfügung zu haben?

Was wird ihr erster Versuch sein?
Niedrist: Zunächst wird es einmal einen Vorversuch geben. Wir müssen erst einmal testen, was die Kammer alles kann und sie, ähnlich einem Ferrari, feintunen.

Wie macht man so etwas?
Niedrist: Indem wir Feldversuche replizieren. Wir werden zunächst einmal Wiesenstücke aus einem großen Projekt im Stubaital in die Klimakammer verpflanzen und schauen, ob die in-vitro -Prozesse bei exakt gleichen Umweltbedingungen ähnliche Ergebnisse bringen wie die In-Vivo-Prozesse unter freiem Himmel. Das sollten sie, abgesehen von gewissen Prozessen wie der Bestäubung durch Insekten, die in der Kammer natürlich eingeschränkt sind.

Warum sind Sie sich da so sicher, dass in-vitro nicht weit von in-vivo abweicht?
Niedrist: Zugegeben - darüber wird auch in der Biologie noch immer debattiert. Im Unterschied zur alpinen Notfallmedizin forscht die Biologie aber schon seit hunderten von Jahren in-vitro. An Datensätzen mangelt es wie gesagt nicht, aber es gibt eben nur sehr wenige Direktvergleiche, vor allem in der alpinen Ökologie.


Was planen Sie ganz konkret?
Niedrist: Langfristiges Ziel ist es, unser Außenlabor im Matschertal in beinahe Echtzeit zu replizieren – genau genommen mit einer 15-minütigen Verspätung. So lange braucht es bis die Daten der Messstationen beim terraXcube ankommen und simuliert werden.
Neben dem Druck ist das ausgeklügelte Lichtsystem ein weiteres Highlight der Klimakammer. Sie kann Tag und Nacht, Sonnenauf- und untergang und vieles mehr mit einer sehr hohen Präzision replizieren. Darauf bin ich besonders gespannt.

Worauf sind Sie gespannt Herr Brugger?
Brugger: Beim letzten Hypoxie Symposium im kanadischen Lake Louise wurde eine chinesische Studie zur Höhenkrankheit heftig diskutiert. Die Studie hatte ergeben, dass das inhalierbare Kortison Budesonid bei Höhenkrankheit hilft. Das wäre erstaunlich, weil wir bislang angenommen haben, dass sich die Höhenkrankheit im Gehirn und nicht in den Lungen manifestiert, wo das Budesonid angereichert wird. Als ein amerikanisches Team in Colorado die Versuchsreihe nachvollzogen hat, kamen sie zu einem negativen Ergebnis. Im terraXcube können wir genau diesen Feldversuch wiederholen, bei gleichbleibenden Parametern, vielleicht sogar mit asiatischen und kaukasischen Probanden. Vielleicht sind ja auch genetische Ursachen dafür verantwortlich, dass das Medikament bei den einen anschlägt, bei den anderen nicht.

Und Ihr erster Selbstversuch?
Brugger: (lacht) Ich will natürlich wissen, in welche Höhe ich vordringen kann. Mein bisheriger Rekord liegt bei 6700 Metern in Bolivien. Diesmal überwachen Profis vom direkt angeschlossenen Ambulatorium aus all meine Körperfunktionen und werden den Versuch abbrechen, bevor ich blau anlaufe.

 

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